Die Bedeutung der Darmsanierung / Symbioselenkung / mikrobiologische Therapie
Darmsanierung, Symbioselenkung oder mikrobiologische Therapie – 3 Begriffe, die aber im Wesentlichen das Gleiche bedeuten, nämlich „die orale oder parenterale Zufuhr von Mikroorganismen, deren Bestandteilen oder Stoffwechselprodukten zu therapeutischen Zwecken“ (Andreas Rüffler; aus: Leitfaden Naturheilkunde; Mikrobiologische Therapie; S. 374).
Die theoretische Vorstellung bei diesem Verfahren ist die „Wiederaufforstung“ von nützlichen Bakterienstämmen im Gastrointestinaltrakt. Dies wäre besonders wünschenswert, wenn durch eine Antibiotika-Therapie z.B. die Darmflora in Mitleidenschaft gezogen wurde. Eine rasche „Wiederaufforstung“ würde die Zahl der nützlichen Mikroorganismen wieder herstellen und keinen Raum geben für die Entwicklung bzw. Besiedlung von schädlichen Bakterien im Darm. Leider sieht die Praxis und die wissenschaftliche Erkenntnis in diesem Zusammenhang anders aus.
Ein solcher Mechanismus wurde nämlich bislang nur bei Neugeborenen beobachtet. Denn bei Neugeborenen liegt bei der Geburt ein vollkommen steriler Darm vor, der mit Beginn der Nahrungsaufnahme auch die Möglichkeit einer Besiedlung mit schädlichen Mikroorganismen bietet. Hier ist eine „Aufforstung“ mit physiologischen Mikroorganismen sinnvoll und wird in ersten Schritten durch einen natürlichen Geburtsvorgang und in der Folge durch das Stillen gewährleistet.
Bei Kindern und Erwachsenen jedoch besteht schon eine Kultur von bis zu 1015 (1 Billiarde) Mikroorganismen im Darm. Im Gegensatz dazu besteht der erwachsene Organismus aus „nur“ 1014 Zellen (100 Billionen). Damit enthält der Darm mindestens 10 mal soviel Mikroorganismen wie der Körper seines „Gastgebers“. Dementsprechend niedrig ist die Dosierung der Präparate, die in der mikrobiologischen Therapie zur Anwendung kommen.
Dies wird anschaulich, wenn man bedenkt, dass eine Millionen Bakterien nur der 1-milliardste Teil der Gesamtmenge an Mikroorganismen im Darm darstellt. Die Zufuhren von probiotischen Präparaten wirken hier im Vergleich wie der Tropfen auf dem heißen Stein und sind dann nach wenigen Tagen im Darm nicht mehr nachweisbar, denn die neuen „Mini-Kolonien“ werden wohl von der bestehenden Super-Flora assimiliert.
Aber was sind dann die positiven Effekte einer Symbioselenkung? Oder gibt es vielleicht gar keine Wirkungen? Hat die Schulmedizin also doch recht, wenn diese behauptet, dass es sich hier um alternativen Budenzauber handelt, der für eine ordentliche Therapie ohne Belang ist?
Es gibt bis heute eine ganze Reihe von Studien, die gezeigt haben, dass eine Symbioselenkung oder Darmsanierung mit Hilfe von Probiotika bei einer Reihe von Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts vorzügliche Dienste hat leisten können. Immer wieder wurden Effekte gesehen, bei denen der Einsatz von Probiotika Entzündungsprozesse eindämmen konnte, was auf eine Beeinflussung des Immunsystems der Betroffenen hindeutet.
Aber nicht nur dies. Es bleibt nicht bei einer reinen „Stärkung“ des Immunsystems durch ein paar Millionen neue nützliche Bakterien. Es konnte gezeigt werden, dass es sich hier um einen sogenannten immunmodulatiorischen Effekt handelt. Dieser Effekt bewirkt die Stärkung eines geschwächten Immunsystems, aber eine Schwächung eines zu starken Immunsystems, wie es z.B. bei einer Allergie der Fall ist.
Somit scheint es möglich zu sein, mit der Applikation von nur vergleichsweise wenigen Mikroorganismen einen bedeutsamen immunologischen Effekt auszulösen. Dies erscheint logisch, da etwa 70 Prozent der Immunzellen des Organismus im Bereich der Darmschleimhäute sitzen und mit den neuen Bakterienstämmen in Berührung kommen, gleich nach deren Applikation. Denn der Darm gilt als „immunologischer Dreh- und Angelpunkt und ein ideales Zielorgan für immunmodulatorische Maßnahmen“.
Wie dieser immunmodulatorische Wirkmechanismus aussieht, habe ich im „Reizdarm-Buch“ genauer beschrieben. Wichtig ist festzuhalten, dass spezifische Zellen im Dünn- und Dickdarmbereich für die immunologische Aufarbeitung der sich im Darm befindlichen Antigene verantwortlich sind.
Dies ist der Grund, warum eine probiotische Therapie einen so durchschlagenden Effekt auf die Darmsanierung ausübt, wo sie aufgrund des Zahlenverhältnisses eigentlich unwirksam sein müsste. Hier stehen also qualitative Wirkmechanismen im Vordergrund und keine quantitative. Denn laut Dogma der Pharmakologie müsste eine so geringe Zahl an Mikroorganismen zur Wirkungslosigkeit verurteilt sein.
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Wissenschaftliche Arbeiten zur Bedeutung der Darmsanierung
Takahashi et al.
„Epigenetic control of the host gene by commensal bacteria in large intestinal epithelial cells“
From the Food and Physiological Functions Laboratory, College of Bioresource Sciences, Nihon University, Kanagawa, Japan.
J Biol Chem. 2011 Oct 14;286(41):35755-62.
Eine brandneue Arbeit versucht die immunmodulierende Aktivitäten von nützlichen Bakterien im Gastrointestinaltrakt zu erklären. Die Schleimhautzellen des Gastrointestinaltrakts werden permanent mit einer riesigen Anzahl an Bakterien konfrontiert. Die Frage ist dabei, warum diese Zellen praktisch unempfindlich sind gegenüber symbiotischen Bakterien, die die normale Darmflora ausmachen. Unter physiologisch normalen Umständen müsste eine solche Begegnung zu einer Immunreaktion in Form von Entzündungen führen.
Die Wissenschaftler jedoch vermuten, dass die Toleranz der Epithelzellen diesen Bakterienkulturen gegenüber auf einer Abschaltung des TLR4-Gens beruht, bedingt durch epigenetische Faktoren. TLR steht für „Toll-ähnlicher Rezeptor“ (toll-like receptor) und ist eine Komponente des angeborenen Immunsystems. Diese Rezeptoren sorgen für die Erkennung von Strukturen in Fremdstoffen.
Damit erkennen sie zum einen den Unterschied zwischen körpereigenen und -fremden Strukturen, und sind zum anderen in der Lage, zwischen krankheitserregend und unbedenklich zu unterscheiden. Letzteres wird erreicht durch die Erkennung von Strukturen, die nur auf Krankheitserregern vorkommen. TLR gibt es in verschiedenen Varianten bei Menschen und Tieren. Sie sind sogar bei Fischen und Reptilien nachgewiesen worden.
In der vorliegenden Arbeit zeigten die Wissenschaftler, dass die TLR-4 der Epithelzellen des Gastrointestinaltrakts eine biochemische Konfigurationsveränderung erfahren haben (DNA-Methylierung) und dass diese Veränderungen im Vergleich zu TLR-4 von immunkompetenten Milzzellen deutlich höher ausfallen. Dies zeigt, dass die Immunantwort auf Reize seitens der symbiotischen Bakterien abgeschaltet ist. Gegenspieler in diesem Szenario ist das Protein CDX-2, welches ein Transkriptionsfaktor ist und die Entwicklung von neuen Epithelzellen im Darm steuert.
Je höher die Konzentration an CDX-2 ausfällt, umso geringer fällt die DNA-Methylierung von TLR-4 aus, womit die immunologische Ansprechbarkeit auf bakterielle Reize wieder hergestellt ist. Der Grad der Methylierung des TLR-4 Gens war im Dickdarm von bakterienfreien Mäusen signifikant geringer als in Mäusen mit einer normalen Darmflora. Im Dünndarm war die Methylierungsrate bei beiden Mäusepopulationen vergleichbar hoch. Dies zeigt, dass die Besiedlung mit symbiotischen Bakterien über epigenetische Veränderungen zu einer Beeinflussung des Immunsystems im Dickdarm führt.
Fazit: Hier ist zu vermuten, dass eine Besiedlung mit schädlichen Bakterien die Methylierung abschaltet. Diese Abschaltung erfolgt über die Erhöhung des Transkriptionsfaktors CDX-2, der bei einer Schädigung der Epithelzellen durch schädliche Mikroorganismen vermehrt freigesetzt wird. Sinn der Erhöhung von CDX-2 ist die Reparatur von Epithelschäden, die von dem Transkriptionsfaktor gesteuert wird. Die Abschaltung der DNA-Methylierung führt dann zu einer Aktivierung des TLR-4 Gens und damit zu einer Immunantwort auf die unerwünschten Eindringlinge.
Diese Arbeit zeigt sehr schön, welche Auswirkung die Präsenz von Bakterien, die der Organismus für sich als nützlich einstuft, auf zellulärer Ebene hat. Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, dann löst eine Fehlbesiedlung eine Entzündungsreaktionen in der Darmschleimhaut aus, besonders im Dickdarmbereich, da das TLR-4 Gen aktiviert ist und diese Immunantwort provoziert. Sinn dieser Aktion ist, die schädlichen Eindringlinge zu zerstören und das physiologische Gleichgewicht wieder herzustellen, was auch das TLR-4 Gen und damit die Immunantwort abschalten würde.
Eine Gabe von Probiotika leistet diesem Geschehen Vorschub, da sie die Neubesiedlung mit gewünschten Bakterienkulturen beschleunigen kann. Dies ist eine mögliche Erklärung, warum Probiotika in einschlägigen Studien so häufig anti-entzündliche Wirkung gezeigt haben. Hierfür einige Beispiele aus der klinischen Praxis:
Kruis et al.
„Double-blind comparison of an oral Escherichia coli preparation and mesalazine in maintaining remission of ulcerative colitis“
Evangelisches Krankenhaus Köln-Kalk, University of Cologne, Germany.
Aliment Pharmacol Ther. 1997 Oct;11(5):853-8.
Mesalazin ist ein Abkömmling der Salicylsäure und wird als entzündungshemmende Substanz zur Behandlung von Morbus Crohn, Colitis ulcerosa usw. eingesetzt. Hier stellt die Substanz eine Art Standardmedikation dar, da die Schulmedizin bislang keine Alternativen mit vergleichbaren Wirksamkeiten hat feststellen können.
Die Autoren stellten nun die Hypothese auf, dass die Darmökologie einen Einfluss auf die Entwicklung und den Krankheitsverlauf von entzündlichen Darmerkrankungen haben könnte. Die Arbeit entstand 1997, also zu einer Zeit, wo man nur wenig von TLR und Epigenetik wusste und damit diese Zusammenhänge nicht kannte. Um diese Hypothese abzuklären, führten die Autoren eine Studie durch, um die anti-entzündliche Wirksamkeit von Probiotika zu testen. Als Test-Organismus diente dazu eine nicht pathogene E. coli Kultur.
Insgesamt nahmen an dieser Studie 120 Patienten teil, die an einer inaktiven ulzerativen Colitis (Entzündung des Dickdarms mit Geschwürbildung) litten. Die Patienten erhielten entweder 500 Milligramm Mesalazin dreimal täglich oder das E. coli Präparat. Die Behandlungsdauer betrug 12 Wochen. Es wurden in dieser Zeit die Dauer der anfallsfreien Tage und die Zahl der Rezidive beobachtet.
Das Resultat zeigte, dass die Zahl und Dauer von klinisch signifikanten Parametern bei beiden Gruppen gleich hoch ausfiel.
Die Rezidivrate unter Mesalazin betrug 11,3 Prozent, unter E. coli 16 Prozent, was statistisch nicht signifikant war. Die rezidivfreien Tage waren für Mesalazin 103 Tage und für E. coli 106 Tage. Auch dieser Unterschied war nicht signifikant. Die Behandlung zeigte bei beiden Gruppen keine Nebenwirkungen und wurde gut toleriert.
Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass eine Therapie mit Probiotika in ihrer Wirksamkeit mit Mesalazin zu vergleichen ist. Damit empfiehlt sich die Probiotika-Therapie als eine gute Alternative zur fortgesetzten Behandlung einer ulzerativen Colitis. Die Frage nach zusätzlichen Arbeiten, die die oben gestellte Hypothese bestätigen können, ist in der ersten diskutierten Arbeit von 2011 beantwortet worden.
Rembacken et al.
„Non-pathogenic Escherichia coli versus mesalazine for the treatment of ulcerative colitis: a randomised trial“
Centre for Digestive Diseases, The General Infirmary at Leeds, UK.
Lancet. 1999 Aug 21;354(9179):635-9.
Diese Arbeit hatte die gleiche Fragestellung zum Gegenstand der Untersuchung wie die zuvor diskutierte Studie aus Köln. Auch hier wurden 120 Patienten mit ulzerativer Colitis mit Mesalazin oder E. coli behandelt und diesmal 12 Monate beobachtet. Die Rezidivraten waren im Vergleich zur Kölner Studie doppelt so hoch. Dies galt aber für beide Gruppen. Ansonsten ergab sich das gleiche Bild: Keine signifikanten Unterschiede zwischen Mesalazin, der Standardtherapie, und E. coli, der Außenseitertherapie, bezüglich anti-entzündlicher Wirksamkeit.
Auch hier vermuteten die Autoren, dass der nützliche Effekt von E. coli Aufschluss geben könnte über die Ursachen der ulzerativen Colitis.
Diese Übersichtsarbeit aus dem Jahr 1997 fasst den damaligen Wissensstand zusammen, der aber heute als gesichert angesehen werden kann:
Malchow HA.
„Crohn’s disease and Escherichia coli. A new approach in therapy to maintain remission of colonic Crohn’s disease?“
Klinikum Leverkusen, Medizinische Klinik 2, Germany.
J Clin Gastroenterol. 1997 Dec;25(4):653-8.
Die Beteiligung von krankheitserregenden oder potentiell krankheitserregenden Bakterien an der Entwicklung von entzündlichen Darmerkrankungen wurde schon seit geraumer Zeit vermutet und diskutiert. Grund dafür war die Beobachtung, dass die Entzündungsprozesse bei diesen Erkrankungen denen einer infektiösen Erkrankung glichen. So wurden erhöhte Konzentrationen von Antikörpern gegen die Antigene der Krankheitserreger gesehen.
Es kam zu einer veränderten metabolischen Aktivität der Mikroflora im Gastrointestinaltrakt bei Patienten mit Morbus Crohn. Verschiedene Studien haben zeigen können, dass eine mögliche Verbindung besteht zwischen Mikroorganismen im Gastrointestinaltrakt und den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.
Deshalb sind verschiedene therapeutische Strategien entwickelt worden, z.B. die Vermeidung einer Verringerung von bakteriellen Komponenten im Darm durch Antibiotika oder Darmspülungen, Inaktivierung von entzündungsfördernden bakteriellen Produkten und Wiederherstellung (Aufforstung) der Darmmikroflora. Grundlage ist die Vorstellung von einer Mangelfunktion der Schleimhautbarriere des Gastrointestinaltrakts und die Veränderung der bakteriellen Zusammensetzung, was letztlich zu Ausbildung einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung führt.
Zu diesem Zeitpunkt jedoch gab es noch keine praktischen, Placebo kontrollierten Studien, die einen nützlichen Effekt einer Restauration von physiologisch normalen Bedingungen in der Darmflora per Probiotika-Gabe untersucht hatten. Die ersten Studien dieser Art wurden mit nicht-pathogenen Stämmen von E. coli bei Patienten mit Morbus Crohn durchgeführt.
Ziel dieser Studien war, die Effektivität und Verträglichkeit der Mikroorganismen zu untersuchen. Wie sich zeigte, reduzierte die Gabe dieser physiologischen Bakterien das Risiko eines Rezidivs und verringerte den Einsatz von Glucocorticoiden.
Diese Beobachtungen ließen die Autoren vermuten, dass Teile der gastrointestinalen Mikroflora, das Immunsystem des Darms und sein Ansprechen auf veränderte Bedingungen und veränderte metabolische Aktivitäten mit eine bedeutsame Rolle spielen bei der Entwicklung des Morbus Crohn.
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Beitragsbild: pixabay.com – Alicia_Harper
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